Radikale Ehrlichkeit auch in innigen Beziehungen

Unangenehme Gerüche benennen sorgt für Beziehungshygiene

Bereits 1994 ver­öf­fent­lich­te der US-ame­ri­ka­ni­sche Psy­cho­the­ra­peut W. Brad Blan­ton sein Buch „Radi­ka­le Ehr­lich­keit: Wie Sie Ihr Leben ver­än­dern, indem Sie die Wahr­heit sagen“. Vor einem Jahr plä­diert Sozi­al­psy­cho­lo­gin Johan­na Degen im Deutsch­land­funk-Inter­view[1] für abso­lu­te Ehr­lich­keit in Bezie­hun­gen – mehr noch: ein­an­der auch unbe­que­me Wahr­hei­ten mit­zu­tei­len. Sie meint, dies könne befrei­en­de Erfah­run­gen ermöglichen.

Doch wie kann es gelin­gen, ohne dass wir in Schuld­ge­füh­len ver­sin­ken oder an der Angst schei­tern, die Bezie­hung würde zerbrechen?

Extremsport Contenance

Jeder von uns kennt diese Situa­tio­nen: Der gelieb­te Mensch bringt einige seiner Eigen­ar­ten in unse­ren Alltag, die uns immer wieder ablö­schen – die noch so innige Liebe und Lust ver­küm­mern lassen:

  • Eine Socke liegt auf der Stuhl­leh­ne, die andere unter dem Tisch;
  • Sie würgt beim Gur­geln, dass es ihm vor dem Küssen graust;
  • Er trinkt grund­sätz­lich aus der Fla­sche, sie ekelt sich vor Keimen;
  • dafür schraubt sie die Deckel von Fla­schen nie­mals zu, und ihm rut­schen sie dann aus den Fingern;
  • Bart­stop­peln, Zahn­pas­ta­tu­ben und Toi­let­ten­de­ckel tun ihr Übriges.

Auch freund­schaft­li­che Bezie­hun­gen oder das beruf­li­che Umfeld sind gar­niert mit der­ar­ti­gen Stolperfallen:

  • Die Freun­din ver­schwin­det von der Bild­flä­che, wenn sie einen neuen Lover hat – taucht mit dra­ma­ti­schem Tamtam wieder auf, wenn es doch nicht geklappt hat;
  • Der Vor­ge­setz­te bedient sich unge­niert im Kühl­schrank an Vor­rä­ten ande­rer, fühlt sich aber nicht ange­spro­chen, wenn dieses Thema anonym in der Pause adres­siert wird;
  • Die Erzie­he­rin bei der Kin­der­be­treu­ung sieht selbst aus, als könne sie nicht unfall­frei einen Müs­li­rie­gel essen;
  • Die Kol­le­gin fällt einem nicht nur in den Pausen ins Wort, son­dern auch in jedem Meeting;
  • Mund- und Schweiß­ge­ruch tun ihr Übri­ges und sind ewige Dauerbrenner.

Der Angang

Bei sich selbst anfangen

Zunächst soll­ten wir die Bedeu­tung klären, die das Pro­blem, das Thema für uns selbst hat:

Beeinträchtigt das Thema die Beziehungsbasis?
  • Wie wich­tig ist das Thema für mich selbst?
    Gehe ich auf Distanz zu dieser Person? Leidet die Zusam­men­ar­beit dar­un­ter? Wenn ich wirk­lich nicht an diesem Thema vor­bei­schau­en kann, hat es wohl eine Bedeutung.
  • Sind grund­sätz­li­che Werte ver­letzt?
    Etwa, wenn mir Ehr­lich­keit, Zuver­läs­sig­keit, Ver­trau­lich­keit wich­tig sind, diese jedoch in der Bezie­hung nicht gege­ben sind.
Ökologischer Check

Wel­chen Preis bin ich bereit zu zahlen, wenn ich das Thema angehe?

  • Ist mir das Thema so wich­tig, dass ich dafür vor­an­schrei­ten und die Ver­ant­wor­tung für die Klä­rung über­neh­men möchte?
  • Nehme ich in Kauf, dass die Bezie­hung sich anschlie­ßend ver­än­dert oder gar auseinanderbricht?

Doch was, wenn sich nichts ändert? Etwa wenn ich keine Ein­sicht für meine Bedürf­nis­se erfah­re oder bei den mir wich­ti­gen Werten im ande­ren nichts reso­niert. Welche Kon­se­quen­zen ziehe ich dann?

Mögliche Vorgehensweise

Der Einstieg

… ist ent­schei­dend für die wei­te­re Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wenn das Gespräch zu einem Disput oder gar Kon­flikt führen könnte, sollte ich bedäch­tig, ein­fühl­sam und vor­sich­tig vorgehen.

Etwa:

  • Mir ist unsere Bezie­hung sehr wichtig.
  • Gerade des­we­gen möchte ich mit dir über etwas sprechen.
  • Dieses Thema macht mir Gedan­ken, Bauch­schmer­zen, Kummer.

Hier ist abzu­wä­gen, ob das Thema nur benannt wird oder sofort dis­ku­tiert und bear­bei­tet werden soll. Mit­un­ter ist es sinn­voll, ver­tie­fen­de Gesprä­che zu ver­ta­gen, wenn es gerade nicht passt.

Der richtige Zeitpunkt und Rahmen

… ist wich­tig und sollte für beide Seiten passen:

  • Bist du dazu jetzt in der Stimmung?
  • Können wir uns jetzt dafür Zeit nehmen?
  • Wann wollen wir uns dazu verabreden?
  • Wo wollen wir uns treffen?
  • Was benö­tigst du dazu noch von mir?
  • Wollen wir beide jetzt for­schen und das Thema anschauen?
Foto: via Unsplash

Kommunikationstipps

Ausreden (lassen)

Gerade in engen Bezie­hun­gen, stresst es das Gegen­über, einen Vor­wurf zu hören und sich viel­leicht ange­klagt oder schul­dig zu fühlen. Dann kommt es gerne sofort zu Abwie­ge­lung oder Ver­tei­di­gungs­re­den. Wenn es zu schnell hin und her geht, steigt die Gefahr, der Dialog schau­kelt sich hoch oder wir ver­ste­hen ein­an­der nicht richtig.

Rahmen klären

Eine Mög­lich­keit ist, wenn wir unsere Gegen­über ein­la­den und gleich­zei­tig die Zustim­mung einholen:

  1. Ich möchte etwas mit Dir klären.
  2. Es ist etwas, was mir für unsere Bezie­hung wich­tig ist.
  3. Wärst Du bereit, mir zuzuhören?

Wenn wir auf ein ehr­li­ches Ja warten, können wir uns immer wieder darauf bezie­hen. Wenn jedoch sofort schnel­le Ein­wän­de kommen, soll­ten wir vor­sich­tig werden, nur in klei­nen Schrit­ten vor­an­ge­hen oder even­tu­ell vertagen.

Du-Aussagen versus Ich-Aussagen

Die Du-Aus­sa­ge halte ich für den häu­figs­ten Aus­lö­ser von Kon­flik­ten. Bitte spüre kurz nach, wie fol­gen­de Vari­an­ten auf dich wirken würden, wenn du sie hörst:

  1. Du hast gesagt: …
    oder
  2. Ich habe gehört: …
    oder
  3. Ich habe verstanden: …

Mit den Vari­an­ten 2 und 3 bleibe ich bei mir und halte die Mög­lich­keit offen, etwas miss­ver­stan­den zu haben. Wich­tig ist dabei beson­ders, Mei­nun­gen nicht als Tat­sa­chen und Wahr­neh­mun­gen nicht als Wahr­hei­ten darzustellen:

  • Statt: Dieses Ver­hal­ten ist über­grif­fig oder du bist ego­is­tisch.
  • Besser: Dieses Ver­hal­ten irri­tiert, ver­letzt, erschrickt mich – wirkt auf mich egoistisch.
Die vier Schritte der gewaltfreien Komunikation

Gewalt­freie Kom­mu­ni­ka­ti­on (GfK) ist ein Kon­zept[2], die eige­nen Bedürf­nis­se zu benen­nen, ohne das Gegen­über zu ver­let­zen – uns zu äußern, ohne dabei ver­ba­le Gewalt aus­zu­üben. Das Kon­zept ist, unsere Mit­tei­lung in vier Schritte/​Ebenen zu unterteilen:

Beobachtung

Der Ein­stieg ist die objek­ti­ve Beob­ach­tung, eine Wahr­neh­mung, die auch jeder andere hätte wahr­neh­men können. Es geht also um eine Beob­ach­tung, Hand­lung oder Aus­sa­ge, auf die wir uns bezie­hen. Wich­tig ist dabei, Wahr­neh­mun­gen von Inter­pre­ta­tio­nen zu unter­schei­den – und wirk­lich bei beob­acht­ba­rem Ver­hal­ten zu bleiben.

Gefühl

Diese unter Beob­ach­tung beschrie­be­ne Situa­ti­on löst in uns ein Gefühl aus: Wir könn­ten frus­triert, trau­rig, wütend oder ent­täuscht sein. Mit­un­ter ist es für uns selbst gar nicht so ein­fach, das Gefühl in dem jewei­li­gen Moment zu benen­nen. Dazu soll­ten wir uns Zeit nehmen und genau nach­spü­ren, bevor wir loslegen.

Bedürfnis

Das Gefühl bringt uns zu einem Bedürf­nis: Nicht aus­re­den zu können, könnte uns das Gefühl ver­mit­teln, nicht wich­tig zu sein. Wir ver­mis­sen die Wert­schät­zung oder viel­leicht die gerech­te Balan­ce unter­schied­li­cher Redeanteile.

Bitte

Wenn uns unser Bedürf­nis klar ist, fällt es leicht, um etwas zu bitten:

  • Lass mich doch bitte aus­re­den, bis ich meinen Gedan­ken for­mu­liert habe.
  • Höre mir doch bis zum Ende zu, statt meine Sätze zu vervollständigen.
  • Lass doch die Witze, wenn ich etwas erzäh­le, was mir ernst ist.

Das Autoren­paar Anika und Roland Hempel widmet diesem Thema das E‑Book Lie­be­vol­le Part­ner­schaft – Gewalt­freie Kom­mu­ni­ka­ti­on für Paare[3].

Bild: Gerd Alt­mann via Pixabay

Es lohnt sich

Pro­ble­me in Bezie­hun­gen in Ruhe anzu­spre­chen, ist die Königs­dis­zi­plin. Den­noch benö­ti­gen wir lange, bis wir es ange­hen. Oft wollen wir unser Gegen­über nicht ver­let­zen oder schä­men uns, ob des Themas oder unse­rer Bedürfnisse.

Auch Worst-Case-Sze­na­ri­en, die wir im Kopf haben, ermun­tern uns nicht unbe­dingt, solche Gesprä­che zu führen. Was, wenn die Bezie­hung danach belas­tet ist und die ver­trau­te Leich­tig­keit fehlt? Dazu ist der öko­lo­gi­sche Check vorher ange­bracht. Denn mit­un­ter enden Bezie­hun­gen nach offe­nen Worten – früher oder später.

Wir soll­ten opti­mis­tisch an die Bezie­hungs­ar­beit gehen. Es ist eine Chance, die Bezie­hung auf eine neue Ebene zu hieven, meint Sozi­al­psy­cho­lo­gin Johan­na Degen. Mehr noch: Sie ist über­zeugt davon, dass das Unbe­wuss­te der betei­lig­ten Per­so­nen ohne­hin schon weiß, dass etwas nicht stimmt.

Quellen

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